Predigt zur Einfhrung des Diakons
Herbert Sturm
am 9. November 2003 in Moosbach
Der Liebe ein Gesicht geben Lesung: Phil 1, 1‑6 Evangelium: Mk 10, 42‑45
Einst gab es an einer gefährlichen Küste eine kümmerlich ausgestattete,
doch tüchtige Rettungsstation mit einer Handvoll Freiwilliger, ständig bereit,
Schiffbrüchige zu bergen. Spendengelder verhalfen zu einem neuen Gebäude mit
komfortablerer Ausstattung; bei den Männern wurde es mehr und mehr als Clubhaus
beliebt, während immer weniger Freiwillige zur Verfügung standen. Immerhin
schmückte das Wappen des Seenotdienstes noch überall die Räume.
Meinungsverschiedenheiten über den Sinn der Einrichtung führten zur Gründung
einer zweiten, einer dritten Station, die sich aber ebenfalls zu bloßen Clubhäusern
entwickelten. Indessen wird die Küste noch immer vielen Schiffen zum
Verhängnis: Nur ‑ für die meisten Schiffbrüchigen gibt es keine Rettung
mehr.
Sie kennen vermutlich diese Geschichte schon. Dann ist
Ihnen um so vertrauter, worauf sie abzielt: Sie bringt ein mehr als
tausendjähriges Bild der Kirche auf einen gewissen Nenner. Die Kirche und ihre
Gemeinden haben sich immer mehr von lebendigen, füreinander sorgenden Gemeinden
zu versorgten, von einer einzigen Spitze her geleiteten Gemeinden entwickelt.
Erst das Zweite Vatikanische
Konzil hat wieder neue Akzente gesetzt. Man erkannte, dass die einzelnen in
einer Gemeinde nicht nur passive Mitglieder sind, dass vielmehr jeder berufen
ist, zum gläubigen und lebendigen Miteinander beizutragen; dass eine Gemeinde,
die einzig und allein auf den Priester hin orientiert ist, ganz einfach
weniger Grundelemente einer christlichen Gemeinde verwirklichen kann.
- Nur dort, wo das Evangelium auf
sehr verschiedene Weise verkündet, weitergegeben und nicht nur nach Art einer
Einbahnstraße vermittelt und bezeugt wird;
- nur dort, wo wirklich
miteinander die Heilsgeheimnisse gefeiert und nicht bloß von einem einzigen
vorgeführt werden;
- nur dort, wo der gegenseitige
Dienst der Gemeindemitglieder nicht nur verwaltet, sondern so intensiv wie nur
möglich geleistet wird ‑ nur dort wird christlicher Glaube als
wirklich lebensbestimmend, lebensverändernd und zum Leben verhelfend
verstanden werden. Deshalb hat man die vergessene Überzeugung der frühen
Kirche, dass jeder seine Fähigkeit hat, zum Gemeindeleben beizutragen, wieder
bewusst gemacht, und ‑Gott sei Dank! ‑ haben sich viele Menschen
gefunden, die diese ihre Aufgabe zum Nutzen der ganzen Gemeinde wahrnehmen.
Gleichzeitig hat man auch das Amt des Ständigen Diakons wieder belebt, das als
eigenständiger Dienst in der Kirche untergegangen war.
Man kann fragen, ob dieses Amt nicht aus guten Gründen in
Vergessenheit geraten ist. Hat nicht der Priester auch die Aufgabe der Diakonie, die Aufgabe, für die dienende Liebe
in der Gemeinde Sorge zu tragen? Hängt sie nicht wesentlich ab von der
diakonischen Aktivität jedes einzelnen
Christen? Wozu braucht es dann eigentlich noch den Diakon?
»Seht, wie sie einander lieben!« ‑ diese Aussage galt einmal als Charakteristikum
der ersten Christen, und sie ist das nach wie vor: Nur wenn das, was verkündet
und gefeiert wird, auch ins Leben übersetzt wird, sich im Alltag auswirkt, kann
man überhaupt von einer echten christlichen Gemeinde reden.
Weil das der Kirche von Anfang an
bewusst war, hat sich unter der Führung des Geistes ein eigenes Amt
herauskristallisiert, das in besonderer Weise die Diakonie in einer Gemeinde
verantwortet. In der Person des Diakons wird sozusagen das dienende Element, an
dem jeder Christ teilhat, noch einmal eigens verkörpert.
Der Diakon soll der Liebe ein Gesicht geben!
Du, lieber Herbert, sollst der
Liebe also ein Gesicht geben!
Dann wird es Deine erste und ureigenste
Aufgabe sein, dass nicht nur das Wort von der Liebe in der Gemeinde fällt, sondern dass diese »in der Tat« nicht untergeht. Darum
wirst Du selbst auch dort zu finden sein, wo Menschen in der Gemeinde in
besonderer Weise die Liebe der anderen brauchen. Das können Kranke oder
Senioren sein, Jugendliche oder Fernstehende, Neuzugezogene oder sozial
Schwache, Ehepaare oder Sterbende. Dabei geht es nicht nur um materielle, sondern
sehr wohl auch um geistliche Hilfe.
Weil Du als Diakon diese Aufgabe
in der Gesamtgemeinde, in Deiner Heimatgemeinde, wahrnimmst, darum wird das
auch in der Liturgie sichtbar
werden: in Deinem Dienst – soweit sinnvoll und notwendig - bei der Eucharistiefeier,
bei Taufen und Trauungen und auch beim letzten Geleit, das Christen ihren
Verstorbenen geben.
Aber dieser liturgische Dienst
wird nicht bloß der größeren Feierlichkeit dienen oder gar eine heimliche
Selbstdarstellung sein dürfen, sondern er wird sich in der Sorge um die dabei
betroffenen Menschen fortsetzen oder aus ihr hervorgehen. Weil er für die
Diakonie in der Gemeinde verantwortlich
ist, darum wird der Diakon im
Gottesdienst das Wort des Evangeliums, die frohe Botschaft für den Menschen, verkünden und gerade
dort auch auslegen, wo es die aktive Liebe der Menschen provozieren will.
Der Liebe in einer Gemeinde auf diese
Weise ein Gesicht zu geben, ist ein hoher Anspruch ‑ werden Sie denken,
und Sie haben recht.
Ein Ständiger Diakon, der, anders als die übrigen
kirchlichen Berufe mit Hochschulausbildung, mehr von der Basis der Gemeinde
herkommt, wird den kritischen Blicken vieler ausgesetzt sein. Zu leicht kann
Dein Dienst missdeutet werden als geheimer Wunsch, etwas Besonderes in der
Gemeinde zu sein. Zu schnell wirst Du gerade als verheirateter Mann am
Verhalten Deiner eigenen Familienmitglieder gemessen werden.. Solchem Urteil
musst Du Dich gewiss stellen und es Dir zu Herzen nehmen.
Dennoch, lb. Mitchristen: Auch
der Diakon ist nur ein Mensch, und für seine Familienmitglieder kann er schon
gar nicht haftbar gemacht werden…… Ihm einen solchen Freiraum der Menschlichkeit
zuzugestehen, wird wirklichen, ernstzunehmenden und verständnisvollen Christen
nicht schwerfallen. Eine Gemeinde kann nur dankbar sein für einen jeden, der
sich in ihr engagiert – und da dürfen wir alle hier im Moosbach sicher sein,
denn keiner hat sich in unserer Pfarrei als Laie in den letzten Jahrzehnten
mehr engagiert. Schon als Ministrant bist Du mit der Kirche vertraut geworden
und hast dann als Vorsitzender der Kolpingsfamilie, als Bezirksvorsitzender und
schließlich lange Jahre als Pfarrgemeinderatsvorsitzender viel gearbeitet, aber
auch viel bewegt.
Der als Atheist geltende
Schriftsteller Bert Brecht hat uns eine Geschichte hinterlassen, die betitelt
ist: »Der Städtebauer«. Er erzählt vom Bau einer Stadt und von einem Mann, der
freundlicherweise überall mitgeholfen hatte. Als sie nun ihre Stadt gebaut
hatten, kamen die Leute zusammen und führten einander vor ihre Häuser und
zeigten einander die Werke ihrer Hände. Und der Freundliche ging mit ihnen von
Haus zu Haus den ganzen Tag über und lobte sie alle. Aber er sprach selber
nicht vom Werk seiner Hände und zeigte keinem sein Haus. Und es ging gegen
Abend, da auf dem Marktplatz sich alle wieder trafen, und auf einem erhöhten
Brettergerüst trat jeder hervor und erstattete Bericht über die Art und Größe
seines Hauses und die Baudauer, damit man herausfinden konnte, welcher von
ihnen das größte Haus gebaut hatte oder das schönste und in wieviel Zeit.
Und an seiner Stelle im Alphabet
wurde auch der Freundliche aufgerufen. Er erschien unten vor dem Podium, einen
großen Türstock schleppend. Er erstattete Bericht. Dies hier, der Türstock, war
es, was er von seinem Haus gebaut hatte. Es entstand Schweigen. Dann stand der
Versammlungsleiter auf. »Ich bin
erstaunt«, sagte er, und ein Gelächter wollte sich erheben. Aber der
Versammlungsleiter fuhr fort: »Ich bin erstaunt, dass erst jetzt die Rede
darauf kommt. Dieser da war während der ganzen Zeit des Baues überall und half
überall mit. Für das Haus dort baute er den Giebel, hier setzte er ein Fenster
ein, ich weiß nicht mehr welches, für das Haus gegenüber zeichnete er den
Grundplan. Kein Wunder weiter, dass er hier mit einem Türstock erscheint, dass
er aber selber kein Haus besitzt. In Anbetracht der vielen Zeit, die er für den
Bau unserer Häuser aufgewendet hat, ist der Bau dieses Türstocks ein wahres Wunderwerk,
und so schlage ich vor, den Preis für gutes Bauen ihm zu erteilen..
Mit dieser Geschichte, in der
Gestalt des Freundlichen, hat, meine ich, Bert Brecht dem christlichen Diakon
ein Mahnmal gesetzt. Man kann gegen die Geschichte einwenden, durch sie werde
jene verkehrte Einstellung noch zementiert, die in der Erwartung beruht, dass
einer für den anderen den Dummen macht. Ich allerdings halte diese Geschichte
sehr viel mehr für ein Gleichnis jener Grundeinstellung, die einem Diakon zu
eigen sein sollte, ohne dass ich jener verkehrten Erwartung das Wort reden
möchte.
Dass, Du, lieber Herbert, etwas
von jener Freundlichkeit, aus christlichem Glauben heraus, lebendig werden
lässt in dieser Gemeinde, dem mag unser aller Gebet in diesen Tagen gelten.
Amen.